1 LEITBILD INTEGRATION DER STADT BURGDORF
2 Inhaltsverzeichnis Vorwort 3 Einleitung 4 Grundhaltung der Stadt Burgdorf 5 Demografische Angaben: Zahlen und Fakten zu Burgdorf 7 Handlungsfelder und zugeordnete Massnahmen 10 Sprache und Kommunikation 11 Schule und Bildung 13 Arbeit 14 Wohnen und Zusammenleben 15 Familie 16 Gesundheit 17 Soziale Sicherheit und Finanzen 18 Kultur, Freizeit und Religion 19 Politische Partizipation 20 Schutz vor Diskriminierung 21 Übersicht der Massnahmen 22
3 Dem Gemeinderat der Stadt Burgdorf ist es ein grosses Anliegen, dass sich Bewohnerinnen und Bewohner jeglicher Nationalität und Herkunft in unserer Stadt wohlfühlen. Er setzt sich dafür ein, allen Bürgerinnen und Bürgern Voraussetzungen zu bieten, damit sie mit ihren Fähigkeiten, Bedürfnissen und Interessen in unserer Stadt ein erfülltes Leben, frei von Diskriminierung, führen können. «Die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund versteht sich als Prozess der Annäherung, Auseinandersetzung, Kommunikation, Finden von Gemeinsamkeiten, Feststellen von Unterschieden und der Übernahme gemeinschaftlicher Verantwortung zwischen zugewanderter und anwesender Bevölkerung.» Bereits im Jahr 2003 hat Burgdorf ein erstes Integrationsleitbild erarbeitet. Sieben Grundsätze wurden festgehalten und Massnahmen dazu formuliert. Vieles wurde umgesetzt, einige Bereiche sind in die Kompetenz des Kantons übergegangen und anderes ist auch im Jahr 2023 immer noch Thema. Das neue Leitbild befasst sich mit Menschen jeglichen Migrationshintergrundes und Aufenthaltsstatus und nicht nur mit Personen aus dem Flüchtlingsbereich. Im Jahr 2016 wurde dem Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer und über die Integration AIG das neue Kapitel Integration angefügt. Dort ist festgehalten, dass bei der Integrationsförderung die Behörden des Bundes, der Kantone und der Gemeinden, die Sozialpartner, die Nichtregierungsorganisationen und die Ausländerorganisationen zusammenarbeiten sollen. Im Weiteren sollen die Behörden die Ausländerinnen und Ausländer insbesondere beim Erwerb von Sprachkompetenzen, anderen Grundkompetenzen und beim beruflichen Fortkommen unterstützen. Mit der Überarbeitung des Leitbildes nach 20 Jahren will der Gemeinderat seinen Auftrag gemäss AIG erfüllen und dem Thema Integration das ihm zukommende Gewicht verleihen. Eine der wichtigsten Erwartungen an das vorliegende Leitbild ist, dass dieses kein blosser «Papiertiger» bleibt. Die Stadt Burgdorf setzt sich deshalb für eine konsequente Umsetzung der Massnahmen ein. Schwerpunkte bilden unter anderem die Vereinfachung der Kommunikation, die Verfügbarkeit von Informationen, die aktive Vernetzung mit Diaspora-Gemeinschaften sowie die Stärkung der Gemeinwesenarbeit und Sozialraumentwicklung. Die Umsetzung der verschiedenen Massnahmen und die gelungene Integration der Menschen mit Migrationshintergrund ist nur dank der Mithilfe vieler freiwillig engagierter Mitbewohnerinnen und Mitbewohner realisierbar. Von diesem Prozess profitieren nicht nur die Menschen, die in Burgdorf eine neue Heimat finden wollen, sondern auch die Burgdorferinnen und Burgdorfer, davon ist der Gemeinderat überzeugt. Unsere Stadt wird interessanter, lebenswerter, bunter und multikultureller, wenn wir die Menschen, die Burgdorf als ihre neue Heimat ausgewählt haben, in unserer Mitte aufnehmen. Ich bin sicher, dass uns dies gemeinsam gelingen wird. Charlotte Gübeli, Gemeinderätin Ressort Soziales VORWORT
4 EINLEITUNG Burgdorf ist eine gesellschaftlich und kulturell vielseitige Stadt. Diese Diversität stellt eine wertvolle Ressource dar und durchdringt alle Lebensbereiche. Das neue Leitbild Integration von Menschen mit Migrationshintergrund trägt der Diversität in der Bevölkerung und der Vielseitigkeit ihrer Anliegen Rechnung. Die gleichberechtigte Teilhabe am wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und politischen Leben soll für die gesamte Wohnbevölkerung möglich sein. Im Leitbild werden zehn Handlungsfelder und zugehörige Massnahmen definiert, welche die Integration unterstützen und eine inklusive Gesellschaft fördern. Die Massnahmen orientieren sich am Bedarf der Burgdorfer Bevölkerung. Zur Erarbeitung der Massnahmenvorschläge wurden insgesamt 21 qualitative Interviews mit Migrantinnen und Migranten unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlichem Aufenthaltsstatus, mit Fachpersonen, mit Behörden und mit engagierten Freiwilligen geführt. Diese lieferten einen umfassenden Überblick über die Situation in Burgdorf und den konkreten Handlungsbedarf. Die Ergebnisse sind in einem Mitbericht zum Leitbild zuhanden des Gemeinderates zusammengefasst.1 In einem mehrstufigen Mitwirkungsprozess wurde das Leitbild konkretisiert und die definitiven Massnahmen ausgewählt. Bei der Erarbeitung des Leitbildes wirkten nebst Migrantinnen und Migranten auch Fachpersonen, Behörden, im Migrationsbereich engagierte Freiwillige sowie interessierte Kreise aus Verwaltung und Politik mit. An dieser Stelle gebührt allen Beteiligten ein riesiges Dankeschön für die unzähligen wertvollen Inputs und die Mithilfe bei der Entstehung des Leitbildes. Mit dem vorliegenden Leitbild setzt die Stadt Burgdorf einen wichtigen Meilenstein auf dem Weg zu einer vielfältigen und offenen Gesellschaft, in welcher sich alle Mitglieder wohl fühlen und ihre Ressourcen und Potenziale einbringen können. Durch die Möglichkeit zur Teilhabe und aktiv gelebter Vielfalt steigert sich die Lebensqualität für alle! Raphael Strauss, Projektleitung Kirchliche Kontaktstelle für Flüchtlingsfragen 1 Für detailliertere Informationen zur Methodik und den Grundlagen für die vorgeschlagenen Massnahmen vgl. «Mitbericht zum Leitbild Integration von Menschen mit Migrationshintergrund».
5 UNSERE GRUNDHALTUNG Die Stadt Burgdorf ist stolz darauf, eine vielfältige und bunte Gemeinschaft zu sein, die aus Menschen unterschiedlicher Herkunft sowie soziokultureller Hintergründe und Lebensweisen besteht. Wir sind überzeugt, dass diese Vielfalt eine Stärke ist, die uns bereichert und uns als Gemeinschaft voranbringt. Um sicherzustellen, dass alle Bewohnerinnen und Bewohner unserer Stadt gleichberechtigt und aktiv an allen Bereichen des Lebens teilhaben können, haben wir uns dazu verpflichtet, ein Integrationsleitbild zu entwickeln, das auf der Inklusion der gesamten Wohnbevölkerung basiert. Zielgruppen des vorliegenden Leitbildes sind einerseits Personen mit Migrationshintergrund, andererseits aber auch die restliche Wohnbevölkerung, die Verwaltung, die Behörden, die Institutionen, die Betriebe und die Vereine in Burgdorf. Wir möchten, dass sich die Bewohnerinnen und Bewohner unserer Stadt gegenseitig kennenlernen und respektieren. Dazu sollen der Austausch und Begegnungsmöglichkeiten zwischen den Menschen gefördert werden. Lange Zeit war die Integrationsdebatte vom Gedanken der Angleichung geprägt. Heute ist durch die zunehmende Verrechtlichung des Integrationsbegriffs hingegen eine Fokussierung auf individuelle Leistungen zu beobachten. Oft stehen dabei der Spracherwerb und die Teilnahme am Erwerbsleben im Vordergrund. Die Reduktion auf messbare und leistungsorientierte Werte wird der Komplexität von Integrationsprozessen aber nicht gerecht. Die Stadt Burgdorf setzt sich deshalb für ein umfassendes und auf Inklusion basierendes Integrationsverständnis ein, das gesellschaftliche Vielfalt und Diversität sowie deren Akzeptanz in den Mittelpunkt stellt. Ziel ist es, allen Menschen die tatsächliche und gleichberechtigte Teilhabe am sozialen, kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Leben in der Stadt Burgdorf zu ermöglichen. Der Integrationsbegriff wird im vorliegenden Leitbild immer in diesem erweiterten Sinn verwendet. Ein solcher Ansatz anerkennt, dass die Menschen durch verschiedene Faktoren wie Alter, Herkunft, Geschlecht, sexuelle Orientierung, ethnische Zugehörigkeit, Religion und Weltanschauung geprägt werden. Jeder Mensch bringt seinen eigenen Erfahrungsschatz an Kompetenzen und Lebenserfahrung mit. Auch die Gründe für Migration sind vielseitig: Arbeitsmigration, Heirat, Familiennachzug oder Flucht und Vertreibung aus dem Herkunftsland durch Krieg, politische Verfolgung oder Klimakatastrophen sind nur einige der Möglichkeiten. Unabhängig von all diesen Faktoren sollen sich alle Bewohnerinnen und Bewohner in Burgdorf willkommen fühlen, ihr Potenzial entfalten und ihr Leben selbstbestimmt und aktiv gestalten können. Der Aufenthaltsstatus kann aber ein Faktor sein, welcher zu Benachteiligungen in verschiedenen Lebensbereichen führt. Durch die im Leitbild skizzierten Massnahmen soll deshalb der gleichberechtigte Zugang zu allen Bereichen der Gesellschaft gefördert und mehr Chancengerechtigkeit geschaffen werden. Dazu gehört beispielsweise der Zugang zu Informationen und zu den Institutionen, zu gemeinsamer Sprache oder zu Bildung und Arbeit. Aber auch Wohnraum für alle, Gesundheitsprävention und -förderung, soziale Sicherheit sowie Möglichkeiten zur sozialen Integration und Freizeitangebote für alle sind wichtige Elemente. Gleichzeitig ist es wichtig, bestehende Hindernisse zu erkennen und abzubauen. Um das Ziel einer inklusiven Gesellschaft zu erreichen und gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen, muss auch der Diskriminierungsschutz gestärkt werden. Burgdorf setzt sich aktiv für eine offene Gesellschaft und gegen direkte und indirekte, institutionelle oder strukturelle Diskriminierung ein. Die Stadt Burgdorf vertritt einen partizipativen Ansatz: Wo immer möglich wird die Mitsprache und Partizipation der gesamten Bevölkerung gefördert. Bei der Planung und Umsetzung von Massnahmen im Integrationsbereich wird der angemessenen Vertretung verschiedener Gruppen Beachtung geschenkt. Durch diesen partizipativen Ansatz werden die Angebote und Dienstleistungen der Stadt besser auf die Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner ausgerichtet. Wir sind überzeugt, dass unsere Stadt auf gutem Weg zu einer inklusiven Gesellschaft ist. Das neue Leitbild Integration für Menschen mit Migrationshintergrund ist ein weiterer Schritt in diese Richtung und wir laden alle Bewohnerinnen und Bewohner ein, sich an diesem Prozess zu beteiligen. Burgdorf – eine lebenswerte Stadt für alle.
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7 Burgdorf verfügt durch seine zentrale Lage als Tor zum Emmental über eine überregionale Anziehungskraft. Die gleichzeitige Nähe zur Bundeshauptstadt Bern, die gute Verkehrslage und die vielfältigen Angebote tragen weiter zum Ausbau von Handel und Gewerbe sowie zur Urbanisierung bei. Seit Beginn des neuen Jahrtausends bis ins Jahr 2022 ist die Wohnbevölkerung in Burgdorf um rund 16 Prozent gewachsen. Ein Teil davon ist auf die Zuwanderung aus anderen Schweizer Gemeinden, aber auch aus dem Ausland zurückzuführen. Ende 2022 lebten rund 16'800 Menschen aus 95 Nationen in Burgdorf. Knapp 20 Prozent der Einwohnerinnen und Einwohner Burgdorfs verfügten nicht über einen Schweizer Pass. Ein Grossteil von ihnen stammt aus Staaten der Europäischen Union oder aus anderen europäischen Ländern (vgl. Abb. 1). Ein kleinerer Teil ist aus Drittstaaten wie Eritrea, Syrien oder Sri Lanka zugewandert. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich unter der ausländischen Wohnbevölkerung auch Personen der zweiten oder dritten Generation befinden, welche nicht migriert, sondern in der Schweiz geboren und aufgewachsen sind. Nicht eingerechnet sind in diesen Zahlen hingegen eingebürgerte Personen und deren Kinder, die jedoch auch zur Bevölkerung mit Migrationshintergrund zählen. Berücksichtigt man diesen sogenannten Migrationsstatus, so verfügten Ende 2019 mindestens 25 Prozent der Wohnbevölkerung Burgdorfs über einen Migrationshintergrund.2 Abbildung 1: Die zwölf häufigsten Herkunftsländer der ausländischen Wohnbevölkerung in Burgdorf (Quelle: Einwohner- und Sicherheitsdirektion Burgdorf, Stand 31.12.2022). DEMOGRAFISCHE ANGABEN: Zahlen und Fakten 421 Deutschland Italien 366 Ukraine 277 Eritrea 265 Nordmazedonien 257 Kosovo 184 Türkei 140 Syrien 129 Serbien 98 Spanien 98 Sri Lanka 97 Afghanistan 62 HÄUFIGSTE AUSLÄNDISCHE NATIONALITÄTEN IN BURGDORF 2 Bundesamt für Statistik, Statistik der Bevölkerung und der Haushalte (STATPOP), Stand am 31. Dezember 2019. Aufgrund der Datenlage konnten Personen mit Schweizer Bürgerrecht, deren Eltern im Ausland geboren wurden, hier nicht berücksichtigt werden.
8 Die Verteilung der ausländischen Wohnbevölkerung auf die Quartiere ist sehr unterschiedlich. Im Quartier Ämmebrügg beträgt der Anteil an Personen ohne Schweizer Pass über 30 Prozent, während er im Meiefeld lediglich 5,5 Prozent beträgt. Insgesamt lebt knapp die Hälfte der ausländischen Wohnbevölkerung in den beiden dicht besiedelten Quartieren Ämmebrügg und Steinhof, die anderen verteilen sich auf die restlichen sieben Quartiere.3 Wegen des Krieges in der Ukraine flüchteten zudem seit 2022 viele Menschen aus der Ukraine in die Schweiz. Sie erhalten hier den Schutzstatus S – eine kollektive, grundsätzlich befristete Aufnahme. Eine weitere Gruppe stellt diejenige der vorläufig aufgenommenen Personen dar. Entgegen ihrem Aufenthaltstitel als «vorläufig» Aufgenommene, bleiben auch sie in der Regel langfristig und dauerhaft in der Schweiz.5 DEMOGRAFISCHE ANGABEN: Zahlen und Fakten Viele der Betroffenen leben bereits seit Jahrzehnten in der Schweiz und in der Stadt Burgdorf. Sie verfügen oft über eine Niederlassungsbewilligung C (vgl. Abb. 2). Diese ist grundsätzlich unbefristet und wird erteilt, wenn bestimmte Integrationskriterien erfüllt sind. Voraussetzung ist ein vorhergehender Aufenthalt von mindestens 10 Jahren mit einer Aufenthaltsbewilligung B.4 Die Aufenthaltsbewilligung B ist eine reguläre Aufenthaltsbewilligung, die immer mit einem Aufenthaltszweck verbunden ist (z.B. Erwerbstätigkeit, Familiennachzug, Studium o.a.). Die weiteren aufenthaltsrechtlichen Regelungen machen nur einen sehr kleinen Teil der Wohnbevölkerung aus. Dennoch leben aber auch einige Asylsuchende sowie Personen ohne geregelten Aufenthalt in Burgdorf. Letztere werden durch die offiziellen Statistiken nicht erfasst, leben und arbeiten aber oft bereits seit Jahren oder gar Jahrzehnten in der Stadt. 3 Detailliertere Angaben zur Verteilung der ausländischen Wohnbevölkerung sind in der Sozialraumanalyse der Kinder- und Jugendarbeit Burgdorf aus dem Jahr 2021 zu finden. https://jugend.burgdorf.ch/jubu-wAssets/docs/Sozialraumanalyse-Burgdorf-Bericht-Definitive-Version.pdf 4 Bei besonders guter Integration oder bei Heirat mit einer Schweizer Bürgerin oder einem Schweizer Bürger kann die Niederlassungsbewilligung bereits nach fünf Jahren erteilt werden. 5 Über 90 Prozent der vorläufig aufgenommenen Personen bleiben langfristig in der Schweiz. Sie sind auch Zielgruppe der Integrationsförderung des Bundes. Abbildung 2: Aufenthaltsstatus der ausländischen Wohnbevölkerung in Burgdorf. (Quelle: Einwohner- und Sicherheitsdirektion Burgdorf, Stand 31.12.2022). AUFENTHALTSSTATUS DER AUSLÄNDISCHEN WOHNBEVÖLKERUNG IN BURGDORF 1 2 3 4 5 6 Niederlassungsbewilligung C Aufenthaltsbewilligung B Schutzstatus S Vorläufige Aufnahme F Kurzaufenthaltsbewilligung L Asylsuchende N 1 2 3 4 5 6
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10 Auf Grundlage der durch das Bundesamt für Statistik festgelegten Integrationsindikatoren wurden zehn Handlungsfelder definiert. Jedem Handlungsfeld sind mehrere Massnahmen zugeordnet, welche eine besondere Wirkung entfalten sollen. Die primären Massnahmen pro Handlungsfeld sind fett hervorgehoben. Die Zahl hinter der Massnahme verweist auf die jeweilige Massnahme, welche im Kapitel 6 detailliert beschrieben ist. Auch wenn man an einen Schalter geht, sind die Leute nicht immer einfach zu verstehen. Sie sprechen gesetzlich und ‘administrativ’, das ist sehr schwierig zu verstehen, für die sogenannten ‘normalen’ Leute. Pastoralassistent aus Italien, seit 40 Jahren in der Schweiz, C-Ausweis « » HANDLUNGSFELDER und zugeordnete Massnahmen
11 LEITSATZ Burgdorf ermöglicht die Sprachförderung für alle Personen und nimmt auf die spezifischen Bedürfnisse unterschiedlicher Personengruppen Rücksicht. Eine leicht verständliche Kommunikation wird als zentrales Element der Integration in allen städtischen Bereichen gefördert. MASSNAHMEN Leicht verständliche Sprache in Behörden und Institutionen (1) Finanzierung von Sprachkursangeboten (2) Stärkung der Gemeinwesenarbeit (3) Einsatz von interkulturellen Dolmetschenden (6) Die Sprache wird oft als Schlüssel zur Integration bezeichnet. Sich in der Gesellschaft verständigen zu können, die Menschen und die Informationen zu verstehen, stellt eine Grundvoraussetzung für gelingende Integration dar. Es ist deshalb zentral, die Sprachförderung sämtlichen Personengruppen in allen Lebenssituationen zu ermöglichen. Das Verständnis von schriftlichen Informationen kann für Personen mit eingeschränkten Sprachkenntnissen eine Herausforderung sein. Schriftliche Informationen sollten deshalb immer in leicht verständlicher Sprache verfasst sein. Gespräche mit Behörden und Fachstellen stellen auch bei guten Sprachkenntnissen eine zusätzliche Herausforderung dar. Der Beizug von interkulturellen Dolmetschenden hilft dabei, sowohl sprachliche wie auch kulturelle Barrieren zu überwinden. Die Anwendung der Sprachkenntnisse wird in der Schweiz durch die Dialektsprache zusätzlich erschwert. Die Gesellschaft ist deshalb gefordert, auch Alltagsgespräche in Standarddeutsch zu führen. Zudem sollen aktiv Begegnungsmöglichkeiten geschaffen werden, bei welchen soziale Kontakte geknüpft und so die Sprache angewendet werden kann. HANDLUNGSFELD Sprache und Kommunikation
12 Mein Sohn ist jetzt 11 Jahre alt. Wenn er in 8 Jahren erwachsen ist und Sozialhilfe braucht, dann ist es ein Problem von Burgdorf. Unsere Probleme sind auch die Probleme von der Schweiz, im nächsten oder im übernächsten Jahr. Flüchtling aus Eritrea, seit 9 Jahren in Burgdorf, B-Ausweis « »
13 Die Schulbildung und der Abschluss einer beruflichen Ausbildung sind wesentliche Voraussetzungen für eine erfolgreiche Integration in den Arbeitsmarkt. Sie verbessern die Chancengleichheit und fördern eine unabhängige und selbständige Lebensführung. In der Schule werden nebst der Grundbildung auch wertvolle soziale Kontakte geknüpft. Das Schulsystem baut auf einer aktiven und unterstützenden Rolle der Eltern auf. Das schweizerische Bildungswesen vom Kindergarten bis zum Abschluss der Erstausbildung ist jedoch komplex und es besteht ein hoher Informationsbedarf. Regelmässige, gezielte Informationen und gegenseitiger Austausch sind unerlässlich. LEITSATZ Burgdorf schafft günstige Rahmenbedingungen, um die Chancengleichheit von Kindern und Erwachsenen mit Migrationshintergrund im Schul- und Bildungssystem der Schweiz zu fördern und den Abschluss einer beruflichen Grundbildung allen Personen im erwerbsfähigen Alter zu ermöglichen. HANDLUNGSFELD Schule und Bildung Dem Übergang von Schule zu Beruf oder Mittelschulbildung wird bei der Integrationsförderung ein hoher Stellenwert beigemessen. Die berufsvorbereitenden Schuljahre, die Vorlehre Integration (INVOL) und die weiteren Brückenangebote tragen massgeblich zu einem gelungenen Übergang bei. Gleichzeitig soll die berufliche Grundbildung auch für über 25-jährige gefördert und die Wirtschaft für die Einstellung älterer Lehrlinge und die Schaffung von Vorlehrstellen sensibilisiert werden. MASSNAHMEN Bildung des Netzwerks Migration (5) Leicht verständliche Sprache in Behörden und Institutionen (1) Einsatz von interkulturellen Dolmetschenden (6) Förderung der Vorlehre Integration (7)
14 Die Ausübung einer Erwerbstätigkeit hat einen hohen sinn- und identitätsstiftenden Wert. Gleichzeitig unterstützt die Erwerbstätigkeit sowohl die sprachliche als auch die soziale Integration: Ausreichend finanzielle Mittel sind eine wichtige Voraussetzung, um am sozialen Leben teilhaben und ein selbstbestimmtes Leben führen zu können. Eine den individuellen Kompetenzen und Ressourcen entsprechende Tätigkeit auszuüben, wird von Betroffenen und von Fachstellen als einer der Schlüsselfaktoren für eine erfolgreiche Integration angesehen. Eine genaue Analyse des Potenzials und der Zugang zu qualifizierenden Massnahmen für einen Berufseinstieg mit eingeschränkten Sprachkenntnissen oder Vorbildung in einer Branche sind deshalb elementar. LEITSATZ Burgdorf setzt sich für eine offene Betriebskultur ein und fördert den gleichberechtigten Zugang zum Arbeitsmarkt sowie die Erwerbsintegration aller in Burgdorf wohnhaften Personen, unabhängig ihrer Herkunft und ihres Aufenthaltsstatus. HANDLUNGSFELD Arbeit Auch die Aufenthaltsregelung hat einen hohen Einfluss auf die Erwerbsintegration. So stellt die Arbeitsintegration für Personen im Familiennachzug und Personen aus dem Asyl- und Flüchtlingsbereich eine besondere Herausforderung dar. Um eine nachhaltige Erwerbsintegration zu fördern, muss der Spracherwerb im Vordergrund sehen. Grundkompetenzkurse, Integrationsprogramme und Ausbildungsmöglichkeiten sollen von Beginn offenstehen. Alle Personen sollten zudem über Weiterbildungsmöglichkeiten informiert werden. Um die Diversität in den Betrieben zu fördern und deren positiven Aspekte sichtbar zu machen, soll die Stadt Burgdorf als mittelgrosse Arbeitgeberin eine Vorbildfunktion einnehmen. MASSNAHMEN Förderung der Vorlehre Integration (7) Berufliche Assessments und Qualifizierung (8) Diversity Management (9) Aber ich brauche wirklich ein Schweizer Diplom! Darum wollte ich dieses Studium machen. Ich bin jetzt 90 Prozent sicher, dass das syrische Diplom hier einfach nichts nützt! Flüchtling aus Syrien, seit 6 Jahren in Burgdorf, B-Ausweis « »
15 Integration kann nie als einseitiger Prozess verstanden werden. Es handelt sich immer um vielschichtige Dynamiken zwischen zugewanderten Personen und der Aufnahmegesellschaft. Für ein gelungenes Miteinander spielt deshalb die Ausgestaltung der sozialen Kontakte eine grosse Rolle. Das Wohnquartier bildet dabei einen klassischen Sozialraum, in welchem Menschen leben, ihre Freizeit verbringen, sich treffen und soziale Kontakte stattfinden. Auch die Gestaltung des öffentlichen Raumes hat Einfluss auf das Wohlbefinden im Quartier. Elementar ist dabei die Schaffung von Begegnungsorten ohne Konsumzwang unter Einbezug der Quartierbevölkerung. Eine gute Durchmischung der Wohnbevölkerung hat einen positiven Einfluss auf das Zusammenleben und die gesellschaftliche Kohärenz. Knapp die Hälfte der ausländischen Wohnbevölkerung lebt Ende 2022 aber in den beiden Quartieren Ämmebrügg und Steinhof. Die Konzentrierung auf bestimmte Wohngegenden kann verschiedene Ursachen haben, in vielen Fällen ist jedoch die Wahl der Wohnlage von den finanziellen Möglichkeiten abhängig. HANDLUNGSFELD Wohnen und Zusammenleben LEITSATZ Die Stadt Burgdorf setzt sich aktiv für günstigen Wohnraum in allen Quartieren und für eine attraktive Quartierentwicklung mit Partizipationsmöglichkeiten für die Wohnbevölkerung ein. MASSNAHMEN Schaffung von günstigem Wohnraum (10) Stärkung der Gemeinwesenarbeit (3) Der Gyriträff ist für uns wie ein Stützpunkt, wo wir unsere Dinge erledigen können, wenn wir Hilfe brauchen. Und auch für die Kinder und alles. Das ist etwas, was Burgdorf mal richtig gemacht hat! Junge Frau aus dem Kosovo, in Burgdorf geboren, C-Ausweis « »
16 LEITSATZ Die Stadt Burgdorf betreibt eine gendergerechte Familienpolitik, welche die spezifischen Herausforderungen von Migrationsfamilien angemessen berücksichtigt. Der flächendeckende Zugang zu allen Angeboten wird unabhängig der sozioökonomischen Situation und des Aufenthaltsstatus’ gewährleistet. MASSNAHMEN Frühkindliche Bildung (11) Schaffung einer Fachstelle Integration (4) Finanzierung von Sprachkursangeboten (1) Bildung des Netzwerks Migration (5) Ich habe das Gefühl, dass ich meinen Sohn besser verstehen werde, weil ich auch hier aufgewachsen bin, wenn er Probleme in der Schule hat oder mit Kollegen etwas machen will und so. Weil ich beide Kulturen kenne. Junge Frau aus Sri Lanka, seit 30 Jahren in Burgdorf, Schweizer Pass « » Die Bedeutung der familiären Situation im Zusammenhang mit Integrationsprozessen äussert sich in den unterschiedlichsten Formen. So kann die familiäre Situation Katalysator und Stolperstein zugleich sein. Katalysator beispielsweise, wenn über die Kinder auch die Eltern vielfältige soziale Kontakte knüpfen können, Stolperstein auf der anderen Seite, wenn beispielsweise die Kinderbetreuung für den Besuch eines Sprachkurses oder der Ausbildung nicht gesichert werden kann. Der flächendeckende Zugang zu familienexterner Kinderbetreuung sowie Angeboten der Frühförderung und der Einbezug der Eltern hilft massgeblich, die Chancengerechtigkeit zu fördern. Innerhalb einer Familie können durch die Migrationsprozesse Rollen- und Geschlechterbilder in Frage gestellt werden. Zwischen den Generationen kann eine partielle Rollenumkehr stattfinden. Bei der Erziehung und im Verlauf der Ablösungsprozesse von Jugendlichen ergibt sich zusätzliches Konfliktpotenzial aufgrund der unterschiedlichen Lebenswelten, in welchen die Eltern aufgewachsen sind. Der Zugang zu Informationen über die Gesellschaft und die Förderung der Gleichstellung sind deshalb zentral. Bei allen Massnahmen soll auf eine gendergerechte Familienpolitik durch die gezielte Unterstützung aller Familienmitglieder geachtet werden. Eine wichtige Stütze können dabei nebst den Regelstrukturen auch informelle Austauschmöglichkeiten sein. Die Aufenthaltsregelung bringt weitere familienspezifische Problembereiche mit sich: Themen wie Familiennachzug oder die Beurkundung von zivilrechtlichen Ereignissen können aufgrund fehlender Dokumente komplex sein. Die Vermittlung und der Zugang zu Informationen und zu bestehenden Fachstellen sind deshalb elementar. Für eine gezielte Unterstützung und Triage in der individuellen Situation in all diesen Bereichen bietet sich die Schaffung einer zentralen Anlaufstelle an. HANDLUNGSFELD Familie
17 Obwohl das Gesundheitssystem in vielen Fällen gut funktioniert, bestehen für die Migrationsbevölkerung spezifische Risiken. Bei geflüchteten Menschen können Traumatisierungen, posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) und fehlende soziale Kontakte zu erheblichen Einschränkungen im Alltag führen. Auch der Aufenthaltsstatus hat Einfluss auf die Gesundheit: Schwierigkeiten bei der beruflichen und sozialen Integration, Perspektivlosigkeit, Angst vor einem Ausweisentzug oder der Rückkehr ins Herkunftsland wirken sich stark auf die psychische Gesundheit aus. Beschäftigungsmöglichkeiten sind deshalb auch für Asylsuchende und Nothilfebeziehende elementar. Bei Sans-Papiers kommt erschwerend hinzu, dass sie keinen direkten Zugang zum Gesundheitssystem in Anspruch nehmen können. Der Anteil der Arbeitnehmenden im Tieflohnsektor ist bei Personen mit Migrationsstatus erhöht. Viele Migrantinnen und Migranten sind an ihrem Arbeitsplatz gesundheitlichen Risiken ausgesetzt, namentlich einem erhöhten Unfallrisiko. Bei Einschränkungen auf dem Arbeitsmarkt aufgrund von Invalidität greift zudem das System der Invalidenversicherung bei Zugewanderten oft nicht. Auch sprachliche, soziale oder kulturelle Aspekte können Gründe für Zugangshindernisse und Versorgungsmängel sein: Die Sensibilisierung für Risikoverhaltensweisen, der Zugang zu Einrichtungen der Gesundheitsversorgung sowie die transkulturelle Gesundheitsförderung in tabubesetzten Themen wie der sexuellen und reproduktiven Gesundheit können durch Beratungsangebote unterstützt werden. In allen Bereichen kann der Einbezug von Schlüsselpersonen als interkulturelle Vermittelnde hilfreich sein. Armut als Gesundheitsrisiko trifft die Migrationsbevölkerung überproportional. Für ältere Migrantinnen und Migranten können weitere Faktoren hinzukommen: Mangelnde finanzielle Absicherung, zunehmende soziale Isolation, Sehnsucht nach der Heimat und fehlende oder rückläufige Sprachkenntnisse stellen spezifische Problemfelder dar. LEITSATZ Die Stadt Burgdorf setzt sich für gesunde Lebens- und Arbeitsbedingungen in ihrer Gemeinde ein. Der Zugang zu Informations-, Sensibilisierungs- und Unterstützungsangeboten in Bereichen der Gesundheitsförderung und der Suchtprävention soll für alle Bewohnerinnen und Bewohner von Burgdorf unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus und Alter gefördert werden. MASSNAHMEN Gesundheitsförderung und Prävention (12) Bildung des Netzwerks Migration (5) Einsatz von interkulturellen Dolmetschenden (6) Sans-Papiers Beratungsstelle (13) Wenn ich für eine Afghanin oder einen Afghanen bei einem Therapeuten dolmetsche, dann muss ich zuerst erklären, was ‘Therapie’ überhaupt heisst. Wir kennen das in Afghanistan nicht! Junger Mann aus Afghanistan, seit 5 Jahren in Burgdorf, F-Ausweis « » HANDLUNGSFELD Gesundheit
18 LEITSATZ Die Stadt Burgdorf setzt sich für die Sicherung des sozialen und wirtschaftlichen Existenzminimums der Gesamtbevölkerung ein und ermöglicht allen Bewohnerinnen und Bewohnern den Zugang zu entsprechenden Unterstützungsangeboten. MASSNAHMEN Schaffung einer Fachstelle Integration (4) Bildung des Netzwerks Migration (5) Berufliche Assessments und Qualifizierung (8) Sans-Papiers Beratungsstelle (13) Die Leute, denen ich helfe, können mich jederzeit anrufen. So können sie immer Fragen stellen, wenn es gerade notwendig ist. Oft kann man nicht warten, bis ein offizielles Treffen organisiert werden kann. Pastoralassistent aus Italien, seit 40 Jahren in der Schweiz, C-Ausweis « » Die Sicherstellung eines sozialen Existenzminimums und die Teilhabe aller Personen an der Gesellschaft stellen eine Grundvoraussetzung für sozialen Frieden dar. Die materielle Grundsicherung ermöglicht es den Menschen, aktive Mitglieder der Gesellschaft zu sein und ein eigenständiges und selbstbestimmtes Leben zu führen. Die Armutsgefährdungsquote liegt bei Migrantinnen und Migranten der Erstgeneration signifikant höher als bei Personen ohne Migrationshintergrund. Dabei spielt der Abschluss einer beruflichen Grundbildung eine zentrale Rolle. Späte Zuwanderung, lückenhafte Erwerbsintegration und Arbeit im Tieflohnsegment verschärfen die Problematik der Altersarmut aufgrund der fehlenden Altersvorsorge. Durch die Sozialsysteme der Schweiz werden bestimmte soziale Risiken abgefedert. Der Zugang zu Sozialversicherungen ist aber je nach Aufenthaltsstatus eingeschränkt und der Informationsbedarf über Funktionsweise und die möglichen Leistungen dementsprechend hoch. Als letztes Auffangnetz dient die Sozialhilfe. Ziel der Sozialhilfe ist eine rasche Ablösung durch Empowerment und Nutzung der vorhandenen Ressourcen. Dabei muss immer auch die Nachhaltigkeit beachtet werden, um langfristig die Sozialhilfekosten zu senken. Die Stadt Burgdorf setzt sich als Mitunterzeichnerin der Charta Sozialhilfe für eine nachhaltige Ablösungspolitik ein. Auch die persönliche Hilfe in Form von Beratung und Vermittlung ist ein wichtiger Teil der Unterstützung. Ergänzend zu den Sozialhilfestellen können Fachstellen oder Freiwilligen-Organisationen Elemente der persönlichen Hilfe abdecken. Die Sozialhilfestrukturen und Drittstellen müssen dazu gut vernetzt und die Angebote den Betroffenen bekannt sein. Abgewiesene Asylsuchende und Sans-Papiers sind aus vielen Bereichen der sozialen Sicherung ausgeschlossen. Aus einer gesamtgesellschaftlichen Perspektive muss aber auch ihnen gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht werden. HANDLUNGSFELD Soziale Sicherheit und Finanzen
19 LEITSATZ Burgdorf setzt sich dafür ein, dass kulturelle Vielfalt und Diversität in der Gemeinde aktiv gelebt werden und fördert die gegenseitige Akzeptanz und Toleranz in allen Bevölkerungsgruppen. Der Vernetzung mit den verschiedenen Diasporagruppen kommt dabei ein zentraler Stellenwert zu. MASSNAHMEN Bildung des Netzwerks Migration (5) Stärkung der Gemeinwesenarbeit (3) Warum lebt man in einer Gesellschaft? Das braucht es einfach! Man muss miteinander sprechen, mit den Nachbarn, mit anderen Menschen. Es muss irgendwo einen Treffpunkt geben, wo sich die Leute austauschen können. Junger Mann aus Afghanistan, 5 Jahre in Burgdorf, F-Ausweis « » Damit kulturelle Vielfalt gelebt werden kann, braucht es eine ständige Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Lebenswelten und Bedürfnissen der Menschen in der Gesellschaft. Zugleich ist ein hohes Mass an Toleranz und Respekt von allen Seiten erforderlich. Die eigene Kultur und Religion sollen im Rahmen der geltenden Gesetze gelebt werden können, ohne dabei Nachteile in Kauf nehmen zu müssen. Die Stadt Burgdorf verfügt über ein vielfältiges Angebot an Freizeitaktivitäten und Vereinen. Diese sind aber oft wenig durchmischt. Dabei spielen sprachliche Hürden, aber auch unterschiedliche Vorstellungen der Freizeitgestaltung eine Rolle. Einfacher soziale Kontakte knüpfen zu können, stellt für viele Migrantinnen und Migranten ein Bedürfnis dar. Gleichzeitig wünschen sich viele Fachstellen und freiwillig Engagierte in Burgdorf mehr zentrale Begegnungsmöglichkeiten, die partizipativ gestaltet und ohne Konsumzwang besucht werden können. Durch niederschwellige Begegnungsmöglichkeiten und den Aufbau eines Netzwerkes mit Diasporagruppen können der Dialog und gegenseitiges Verständnis gefördert werden. Gleichzeitig erhöht sich die Erreichbarkeit der Migrationsbevölkerung und die Informationsvermittlung wird erleichtert. HANDLUNGSFELD Kultur, Freizeit und Religion
20 LEITSATZ Burgdorf setzt sich aktiv für gleichberechtigte Partizipationsmöglichkeiten der gesamten Wohnbevölkerung in allen Lebensbereichen ein. Die Migrationsbevölkerung wird wo immer möglich in die politischen Prozesse mit eingebunden. MASSNAHMEN Stärkung der Partizipation (14) Bildung des Netzwerks Migration (5) Leicht verständliche Sprache in Behörden und Institutionen (1) Die Schweiz ist für mich einfach mein Zuhause. Egal ob es hier eine andere Sprache und eine andere Kultur hat, die Schweiz ist einfach mein Land. Ich bin hier geboren und meine Mentalität ist hier. Junge Frau aus dem Kosovo, in Burgdorf geboren, C-Ausweis « » HANDLUNGSFELD Politische Partizipation Das Ziel einer inklusiven Politik muss grundsätzlich sein, Teilhabe in allen Lebensbereichen zu ermöglichen. Durch diese urdemokratischen, partizipativen Prozesse werden die Akzeptanz der geltenden Regeln sowie die Identifikation mit der Gemeinschaft gefördert. Im Kanton Bern fehlt aktuell eine rechtliche Grundlage zur Einführung des Stimm- und Wahlrechts für Migrantinnen und Migranten. Burgdorf verfügt hingegen über ein Instrument zur politischen Partizipation: Migrantinnen und Migranten können gemäss Art. 26 der Gemeindeordnung einen Ausländerantrag an das Stadtparlament stellen. Dieses Gefäss wurde bislang nie benutzt. Das Instrument soll deshalb aktiv bekannt gemacht und die Zugangsschwelle so niedrig wie möglich gestaltet werden. Auch auf die gesetzlichen Vorgaben zur Einbürgerung hat die Gemeinde wenig Einfluss – sie kann aber Personen, welche die formalen Kriterien erfüllen, aktiv auf die Möglichkeit zur Einbürgerung hinweisen. Weitere Möglichkeiten zur Partizipation sind die aktive Einbindung von Diaspora-Organisationen in politische Mitwirkungs- oder Vernehmlassungsverfahren, in städtische Anlässe oder in Planung und Umsetzung konkreter Massnahmen und Projekte. Das ermöglicht, Massnahmen gezielt und bedarfsorientiert umzusetzen. Wichtig ist auch die frühzeitige Vermittlung von Systemkenntnissen sowie die niederschwellige Verfügbarkeit der Informationen. In den Erstgesprächen der Gemeinde werden grundlegende Informationen vermittelt und bei besonderem Bedarf durch die Ansprechstelle Integration vertieft. Die einmalige Information genügt aber oftmals nicht, weitere Informationen sind auch zu späteren Zeitpunkten notwendig. Es ist deshalb wichtig, alle städtischen Informationen auf leicht verständliche Art zugänglich zu machen.
21 LEITSATZ Die Stadt Burgdorf setzt sich aktiv für mehr Chancengerechtigkeit und gesellschaftlichen Zusammenhalt ein. Die Stadt Burgdorf geht mit gezielten Massnahmen gegen individuelle und strukturelle Diskriminierung und Rassismus vor. MASSNAHMEN Beratungsangebot «gggfon» (15) Diversity Management (9) Schaffung von günstigem Wohnraum (10) Leute laufen vorbei, schauen dich an und laufen weiter um einen anderen Platz zu finden. Das gibt es ab und zu, aber das ist generell und hat nichts mit Burgdorf zu tun. Hier fühle ich mich gut und nicht irgendwie benachteiligt. Junge Frau aus Sri Lanka, seit 30 Jahren in Burgdorf, Schweizer Pass « » Der demografische Wandel führt dazu, dass sich die Bevölkerungszusammensetzung verändert, besonders in den Städten. Diese Vielfalt zu leben und zu respektieren, stellt für die Gesellschaft und für die Verwaltung eine zentrale Herausforderung dar. Für ein gelingendes Miteinander sind Verständnis und Toleranz wichtige Eckwerte. Dies kann durch Begegnungsmöglichkeiten und die Öffnung der Institutionen aktiv gefördert werden. Rassistische Diskriminierung bezeichnet jede Handlung oder Praxis, die Menschen aufgrund äusserlicher Merkmale, ethnischer Herkunft, kultureller Merkmale und/oder religiöser Zugehörigkeit ungerechtfertigt benachteiligt, demütigt, bedroht oder an Leib und Leben gefährdet. Im Unterschied zum Rassismus ist rassistische Diskriminierung nicht zwingend ideologisch begründet. Sie kann absichtlich, oft jedoch auch unabsichtlich erfolgen (indirekte oder strukturelle Diskriminierung). Strukturelle Diskriminierung gründet oft in Stereotypen und bestehenden, historisch gewachsenen Praktiken oder Ungleichheitsverhältnissen und ist nicht immer offensichtlich. Sie kann mehrdimensional und mit Benachteiligungen anhand der Religion, der Weltanschauung, des Geschlechts oder der sozioökonomischen Lage verschränkt sein. Diskriminierungserfahrungen kommen in allen Lebensbereichen vor: In der Öffentlichkeit und Freizeit, im Bildungsbereich, bei der Wohnungssuche oder in der Arbeitswelt. Ziel der Integrationspolitik ist es deshalb, individuelle und strukturelle Diskriminierung zu erkennen und Massnahmen dagegen zu ergreifen. Dazu müssen Vorurteile und Stereotypen benannt, bestehende Praktiken hinterfragt und gleichberechtigte Zugänge zu allen Bereichen der Gesellschaft geschaffen werden. Den Städten kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. Sie können Benachteiligungen aktiv entgegenwirken und Begriffe wie «Chancengerechtigkeit» und «Vielfalt» mit Leben füllen. HANDLUNGSFELD Schutz vor Diskriminierung
22 ÜBERSICHT DER MASSNAHMEN 1. LEICHT VERSTÄNDLICHE SPRACHE IN BEHÖRDEN UND INSTITUTIONEN Die schriftliche Kommunikation der Verwaltung, Behörden und Schulen der Stadt Burgdorf mit der Bevölkerung erfolgt in leicht verständlicher Sprache und bei Bedarf mehrsprachig. Die städtischen Behörden und Institutionen werden für die Anwendung leicht verständlicher Sprache geschult und sensibilisiert. 2. FINANZIERUNG VON SPRACHKURSANGEBOTEN Burgdorf setzt jährlich einen bestimmten Betrag ein, um den Besuch von Sprachkursangeboten für verschiedene Personengruppen wie Eltern, Erwerbstätige, ältere Menschen, lernungewohnte Personen, Menschen ohne Lese- und Schreibkenntnisse, Sans-Papiers oder Personen in bescheidenen Einkommensverhältnissen zu ermöglichen. 3. STÄRKUNG DER GEMEINWESENARBEIT Die Stadt Burgdorf fördert durch die Stärkung der Gemeinwesenarbeit die soziale Integration und die Schaffung von Begegnungs- und Konversationsmöglichkeiten in den Quartieren. Sie stellt die dafür notwendigen Ressourcen zur Verfügung. 4. SCHAFFUNG EINER FACHSTELLE INTEGRATION Die Fachstelle Integration ist zentrale Anlaufstelle der Stadt für Information, Triage, Beratung, Koordination und Netzwerkpflege im Integrationsbereich. Die Anlaufstelle ist niederschwellig erreichbar. Sie ist verantwortlich für das Netzwerk Migration und prüft den Aufbau eines «Schlüsselpersonenprogramms» für die Stadt Burgdorf. 5. BILDUNG DES NETZWERKS MIGRATION Die Stadt Burgdorf schafft das «Netzwerk Migration» als Vernetzungsgefäss zwischen Fachstellen aus dem Sozial-, Gesundheits-, Bildungs- und Integrationsbereich sowie Diaspora-Organisationen. Das «Netzwerk Migration» wird bei der Umsetzung und der Priorisierung der in diesem Leitbild definierten Massnahmen aktiv einbezogen. 6. EINSATZ VON INTERKULTURELLEN DOLMETSCHENDEN Gespräche von Behörden und Schulen mit Migrationsfamilien, welche über wenig Sprachkenntnisse verfügen, werden in der Regel mit interkulturellen Dolmetschenden durchgeführt. Kinder sollten in keinem Fall Dolmetschaufgaben übernehmen müssen. Die Mitarbeitenden der Stadt werden für diese Thematik sensibilisiert. 7. FÖRDERUNG DER VORLEHRE INTEGRATION (INVOL) Die Stadt Burgdorf setzt sich bei ortsansässigen Betrieben für die Schaffung von (qualifizierenden) Einsatzplätzen und Praktika im Rahmen der Vorlehre Integration (INVOL) oder Lehrstellen für Erwachsene ein. Die Stadt Burgdorf informiert ortsansässige Betriebe regelmässig über die Möglichkeiten und Vorteile von Massnahmen zur erleichterten Erwerbsintegration wie der Vorlehre Integration. 8. BERUFLICHE ASSESSMENTS UND QUALIFIZIERUNG In der Sozialhilfe wird eine nachhaltige Ablösungsstrategie verfolgt. Durch ein systematisches Assessment unter Einbezug der bestehenden Angebote werden alle Personen entsprechend ihrer Fähigkeiten und Kompetenzen bei der beruflichen Qualifizierung gefördert.
23 9. DIVERSITY MANAGEMENT Die Stadt Burgdorf erstellt Leitlinien für Diversity Management und diskriminierungsfreie Bewerbungsverfahren. Sie setzt diese in allen städtischen Betrieben und Institutionen um. Die Bewerbungsverfahren für Wohnraum in stadteigenen Liegenschaften werden diskriminierungsfrei gestaltet. Alle städtischen Mitarbeitenden haben mindestens einmal pro Legislatur die Möglichkeit, eine Weiterbildung zur Förderung der transkulturellen Kompetenzen zu besuchen. 10. SCHAFFUNG VON GÜNSTIGEM WOHNRAUM Die Stadt setzt sich dafür ein, dass bei Neubau- und Sanierungsprojekten die Schaffung von günstigem Wohnraum für sozioökonomisch benachteiligte Gruppen angemessen berücksichtigt wird. 11. FRÜHKINDLICHE BILDUNG Die Stadt Burgdorf unterstützt Förderangebote für Eltern und ihre Kinder im Vorschulalter. 12. GESUNDHEITSFÖRDERUNG UND PRÄVENTION Burgdorf evaluiert in Zusammenarbeit mit Fachorganisationen die bestehenden Angebote zur Gesundheitsförderung und Suchtprävention unter spezifischer Berücksichtigung des Zugangs für die Migrationsbevölkerung. Die Stadt prüft die Entwicklung, Umsetzung und Verankerung eines wirkungsvollen Gesundheitsförderungs- und Präventionskonzepts. 13. SANS-PAPIER BERATUNGSSTELLE Die Stadt fördert die Sensibilisierung für die spezifischen Probleme von Sans-Papiers und stellt sicher, dass das Angebot und Fachwissen der Sans-Papiers Beratungsstelle Bern auch in Burgdorf zur Verfügung stehen. 14. STÄRKUNG DER PARTIZIPATION Die Stadt Burgdorf fördert Partizipationsmöglichkeiten für die Migrationsbevölkerung. Das Instrument des Ausländerantrags wird gezielt bekannt gemacht und auch für Personen des Asyl- und Flüchtlingsbereichs zugänglich gemacht. Die Gemeinde informiert ausländische Personen bei Erfüllen der formalen Voraussetzungen aktiv über die Möglichkeiten und Vorteile einer Einbürgerung. 15. BERATUNGSANGEBOT «GGGFON» Das Beratungsangebot gggfon ist den Behörden, städtischen Angestellten sowie Lehrkräften bekannt. Werden ihnen Vorfälle rassistischer Diskriminierung zur Kenntnis gebracht, weisen sie die Betroffenen auf das Melde- und Beratungsangebot des gggfons hin. Das gggfon wird beauftragt, jährlich einen Bericht zu erstellen, um Handlungsbedarf in der Stadt Burgdorf zu erkennen und Massnahmen abzuleiten. In Zusammenarbeit mit dem gggfon und weiteren Organisationen werden, sofern nötig, Sensibilisierungsmassnahmen für die Verwaltung und die Stadt Burgdorf definiert.
24 Impressum Herausgeberin: Stadt Burgdorf Auftraggeberin: Gemeinderat Burgdorf Projektleitung: Raphael Strauss, Kirchliche Kontaktstelle für Flüchtlingsfragen KKF Projektteam: Kathrin Buchmann, Kirchliche Kontaktstelle für Flüchtlingsfragen KKF (bis Juni 2021) Charlotte Gübeli, Gemeinderätin Ressort Soziales Peter Leuenberger, Leiter Sozialdirektion Burgdorf (bis Herbst 2021) Andreas von Wartburg, Leiter Sozialdirektion Burgdorf (ab Sommer 2022) Begleitgruppe (2023): Nicole Chen, Jugendbeauftragte, Bildungsdirektion Eliane Gebauer, Leiterin frühkindliche Bildung, Bildungsdirektion Alina Krebs, Assistentin Sozialdirektion Eva Schneiter, Bereichsleiterin Sozialhilfe a.i., Sozialdirektion Anne Stettler, Sozialarbeiterin, Sozialdirektion Thomas Studer, Sozialkommission Weitere Mitwirkende: Während der gesamten Erarbeitungsdauer 2020 bis 2023 waren zahlreiche weitere Personen beteiligt, die hier nicht alle namentlich erwähnt werden können (siehe Mitbericht Leitbild Integration). Ihnen gilt ebenso ein grosser Dank für ihre Mitwirkung! Genehmigung: Der Gemeinderat hat das Leitbild Integration an seiner Sitzung vom 27.06.2023 genehmigt.
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